Amoklauf in den Medien

Ressourcen für die Aufarbeitung im Unterricht

Ein schwerwiegendes Gewaltereignis wie ein Amoklauf an einer Schule erschüttert auch andere Schulen. Lehrkräftestehen vor der Herausforderung, dieses Ereignis mit ihren Schüler*innen aufzuarbeiten, Ängste aufzufangen und gleichzeitig den Schulalltag behutsam weiterzuführen. In Österreich gibt es dafür vielfältige Ressourcen und Unterstützungsmöglichkeiten, von offiziellen Leitfäden und Krisenteams bis hin zu Angeboten von NGOs. Dieser Leitfaden bietet einen thematisch gegliederten Überblick – für alle Schulstufen (Grundschule, Sekundarstufe I und II) – wie pädagogisch und psychosozial auf ein solches Ereignis reagiert werden kann. Dabei werden konkrete Materialien, Plattformen und Anlaufstellen genannt, um Lehrkräfte direkt zu unterstützen.

1. Pädagogisch-Psychologische Grundlagen: Ihr Kompass im Klassenzimmer

Bevor Sie auf Materialien zurückgreifen, ist Ihre Haltung entscheidend. Die folgenden Prinzipien geben Ihnen Orientierung:

  • Sicherheit und Ruhe ausstrahlen: Ihre wichtigste Botschaft ist: "Hier und jetzt sind wir sicher. Wir können und dürfen darüber sprechen." Ihre eigene Ruhe überträgt sich auf die Klasse.

  • Gefühle anerkennen und validieren: Jedes Gefühl – Angst, Wut, Trauer oder auch scheinbares Desinteresse – ist eine legitime Reaktion. Sagen Sie: "Ich kann verstehen, dass dir das Angst macht", statt "Du brauchst keine Angst zu haben."

  • Freiwillige Gesprächsangebote schaffen: Zwingen Sie niemanden, zu sprechen. Bieten Sie Gesprächsmöglichkeiten an, z.B. im Morgenkreis, in einer eigenen Stunde oder im Einzelgespräch.

  • Altersgerecht informieren und handeln:

    • Volksschule: Konzentrieren Sie sich auf die Gefühlsebene und das Sicherheitsgefühl. Halten Sie Informationen einfach ("Es ist etwas sehr Trauriges passiert.") und vermeiden Sie grausame Details. Rituale wie eine Kerze anzünden oder ein gemeinsames Bild malen helfen.

    • Sekundarstufe I/II: Hier können und sollen auch komplexere Fragen nach dem "Warum", nach Motiven, gesellschaftlichen Hintergründen und Prävention diskutiert werden.

  • Fakten von Gerüchten trennen: Bleiben Sie bei gesicherten Informationen (z.B. von der APA – Austria Presse Agentur) und benennen Sie Spekulationen in sozialen Medien aktiv als solche. Dies ist gelebte Medienkompetenz.

  • Handlungsfähigkeit ermöglichen: Um aus der Ohnmacht herauszufinden, helfen kleine, gemeinsame Aktionen: eine Schweigeminute, das Verfassen einer Beileidskarte, eine Spendenaktion oder die Diskussion darüber, wie man die eigene Schulgemeinschaft stärken kann.

  • Achten Sie auf sich selbst: Das Thema ist auch für Sie belastend. Suchen Sie den Austausch im Kollegium, mit der Schulleitung oder bei Bedarf bei der Schulpsychologie.

2. Richtlinien und Krisenteams

Bildungsministerium und Schulpsychologie: Schulen in Österreich verfügen idealerweise über einen Krisenplan. Das Bundesministerium für Bildung (BMBWF) und die Schulpsychologie-Bildungsberatung stellen Leitfäden und Kriseninterventionsteams bereit. Ein zentraler Leitfaden – etwa der „Leitfaden für das Vorgehen in schulischen Notfallsituationen“ – betont, dass Schulleitung und schulinterne Krisenteams in Zusammenarbeit mit Schulaufsicht und Schulpsycholog*innen ein koordiniertes Vorgehen sicherstellen sollten - bildung-vbg.gv.atbildung-vbg.gv.at. So kann rasch, strukturiert und abgestimmt reagiert werden, um die akute Krise zu bewältigen, traumatisierende Ereignisse aufzuarbeiten und längerfristige Maßnahmen zu planen - bildung-vbg.gv.at. Die Schulpsychologie-Teams der Bildungsdirektionen unterstützen bei Bedarf vor Ort – externe fachliche Hilfe sollte unbedingt angenommen werden - schulpsychologie.at. Es wird empfohlen, direkt Kontakt mit der zuständigen Schulpsychologie aufzunehmen, die in jedem Bundesland erreichbar ist - schulpsychologie.at. Auf der Website schulpsychologie.at sind Materialien zum Umgang mit Gewalt und Krisen verfügbar, z.B. der Handlungsleitfaden „Umgang mit Krisen und Gewalt in der Schule“mit praxisnahen Empfehlungen - schulpsychologie.atschulpsychologie.at.

Polizei und Sicherheitsbehörden: Die österreichische Polizei ist ein wichtiger Partner bei der Prävention und Nachbereitung von Schulgewalt. Bei konkreten Bedrohungen gilt: sofortige Alarmierung der Polizei (Notruf 133) und enge Abstimmung mit den Behörden - schulpsychologie.atbildung-vbg.gv.at. Nach einem externen Amoklauf stehen Polizei und Innenministerium mit Fakten zur Lage bereit – Schulen sollten offizielle Informationen abwarten und Gerüchten vorbeugen - ots.atbildung-vbg.gv.at. Die Bildungsdirektion Vorarlberg empfahl z.B. in einem Rundschreiben, Eltern, Schülerinnen und Lehrpersonen in Abstimmung mit der Polizei zu informieren, um Unsicherheit und Falschmeldungen zu vermeiden - bildung-vbg.gv.at. Weiters bietet die Polizei präventive Workshops für Schulen an. So werden in einigen Bundesländern Schulungen zu Themen wie digitale Sicherheit („Click & Check“), Rechtskunde („Alles was Recht ist“) und sogar zum Verhalten im Amokfall angeboten – hierfür kann die örtliche Polizeiinspektion kontaktiert werden - bildung-vbg.gv.at. Zögern Sie nicht, für interne Fortbildungen oder Fragen zur Sicherheit auf die Präventionsbeamtinnen der Polizei zuzugehen.

Ministerielle Materialien: Zur inhaltlichen Vorbereitung und Weiterbildung der Lehrkräfte gibt es fundierte Publikationen. Beispielsweise hat das Bildungsministerium in Kooperation mit dem ÖZEPS die Broschüre „Gewaltprävention an Schulen – Persönlichkeitsbildung und soziales Lernen“ herausgegeben - give.or.at. Diese bietet wissenschaftlich fundiertes Hintergrundwissen zu Aggression, Präventionsansätzen und Förderung sozialer Kompetenzen in der Schule – wertvolles Wissen, um Gewalt vorzubeugen und Warnsignale früher zu erkennen. Auch das HEPI-Zentrum stellt mit „Gewalt, Medien, Diversität: Hintergrundwissen und Anregungen für Pädagoginnen“* ein umfangreiches Kompendium bereit, das Lehrkräften hilft, Phänomene von Gewalt (und deren mediale Vermittlung) zu verstehen und im Unterricht aufzugreifen - give.or.at. Solche Leitfäden können im Kollegium besprochen und als Grundlage für schulinternen Fortbildungen genutzt werden.

Pädagogische Arbeit im Klassenzimmer

Raum für Gespräche schaffen: Unmittelbar nach Bekanntwerden des Amoklaufs sollte die normale Routine unterbrochen werden, um auf die Ängste und Fragen der Schüler*innen einzugehen - schulpsychologie.at. Ein schweres Ereignis “hat Vorrang” – es empfiehlt sich, anstehende Prüfungen oder anspruchsvollen Unterricht zunächst zu verschieben - schulpsychologie.at. Kommunizieren Sie dies frühzeitig an die Lernenden, um zusätzlichen Leistungsdruck von ihnen zu nehmen - schulpsychologie.at. Stattdessen sollte Zeit eingeräumt werden für eine Gesprächsrunde im Klassenverband. Reden Sie offen und faktenbasiert über das Geschehene - ots.at: Teilen Sie gesicherte Informationen darüber, was passiert ist, und stellen Sie klar, dass Gerüchte vermieden werden müssen - ots.at. Gerade jüngere Kinder brauchen eine altersgerechte Erklärung ohne Beschönigung, aber auch ohne unnötige Dramatisierung - ots.at. Zeigen Sie Ihre eigene Betroffenheit ruhig offen – authentisches Mitgefühl der Lehrkraft signalisiert den Kindern, dass ihre eigenen Emotionen legitim sind - ots.at.

Emotionen zulassen: Bei der Aussprache im Klassenraum sollte allen klar sein: Alle Gefühle sind erlaubt - ots.at. Schülerinnen reagieren individuell – die Palette reicht von Trauer, Angst, Wut bis Verunsicherung. Ermutigen Sie die Kinder und Jugendlichen, über ihre Gefühle zu sprechen oder sie auch nonverbal auszudrücken. Machen Sie deutlich, dass solche Reaktionen nach einem derart schlimmen Ereignis normal sind - ots.at. Nehmen Sie geäußerte Gefühle ernst und relativieren oder bewerten Sie sie nicht abfällig. Ein einfühlsames Klima im Klassenraum hilft, dass sich die Schülerinnen aufgefangen fühlen und das Erlebte besser verarbeiten können - ots.at. Fragen Sie aktiv nach: “Wie geht es euch mit der Nachricht? Was macht euch am meisten Angst oder traurig?” - ots.at. Geben Sie den Schüler*innen auch Gelegenheit zu formulieren, was ihnen helfen würde, sich sicherer zu fühlen - ots.at. Oft kommen von Kindern selbst gute Vorschläge (z.B. gemeinsam etwas für die Betroffenen tun, über Sicherheitsmaßnahmen sprechen, o.Ä.).

Sicherheit und Routine: Ein zentrales Anliegen der Schülerinnen wird die Frage nach der eigenen Sicherheit sein. Gehen Sie darauf ein und erklären Sie, welche Schutzmaßnahmen an Ihrer Schule bestehen (z.B. Alarmsystem, Notfallplan, Schulpsychologinnen in Bereitschaft). Die Kinder sollen spüren: “Wir tun alles, damit ihr sicher seid.”Gleichzeitig geben vertraute Routinen Halt - schulpsychologie.at. Behalten Sie daher - sobald es angemessen ist - gewisse Alltagsstrukturen bei, etwa den üblichen Stundenplan ab dem nächsten Tag oder fixe Pausenzeiten - schulpsychologie.at. Rituale und Routine vermitteln gerade nach außerordentlichen Ereignissen ein Stück Normalität und Sicherheit - schulpsychologie.at. Dennoch sollten in den ersten Tagen nach dem Amoklauf zusätzliche Stressfaktoren vermieden werden; der Lehrstoff kann ggf. gekürzt werden, Hausübungen reduziert und der Fokus vorübergehend mehr auf Klassengesprächen und beruhigenden Aktivitäten liegen.

Altersangepasste Methoden: Für jüngere Kinder (Volksschule) können spielerische oder kreative Ansätze hilfreich sein, um Gefühle zu verarbeiten – z.B. durch Malen, ein gemeinsames Ritual (eine Kerze anzünden für die Opfer) oder ein Bilderbuch über Angstbewältigung. Ältere Schülerinnen der Sekundarstufe können im Gespräch tiefer einsteigen: Hier kann man z.B. thematisieren, was zu solcher Gewalt führen kann (ohne zu spekulieren, sondern allgemein über Mobbing, Ausgrenzung, psychische Not sprechen). Wichtig ist, keine Gewalt zu glorifizieren oder Täterinnen zu “berühmt” zu machen – halten Sie die Balance zwischen Faktenschilderung und pädagogischer Reflexion. Gegebenenfalls können in höheren Schulstufen Projektstunden zu Gewaltprävention folgen, wenn die akute Phase vorbei ist (siehe Abschnitt Weiterführende Prävention).

Medien und Gerüchte: Ein Amoklauf zieht intensive Medienberichterstattung nach sich, die auch Schülerinnen konsumieren. Besprechen Sie mit der Klasse unbedingt den Umgang mit Medien in solchen Situationen - schulpsychologie.at. Weisen Sie darauf hin, dass in sozialen Netzwerken und sogar Nachrichten anfänglich falsche Details kursieren können - schulpsychologie.at. Vermitteln Sie Medienkompetenz: Man soll Gerüchte nicht ungeprüft weiterverbreiten und besonders verstörende Bilder oder Videos keinesfalls teilen - schulpsychologie.at – schon aus Respekt vor den Betroffenen. Empfehlen Sie den Schülerinnen, bewusste Nachrichtenpausen einzulegen, um nicht von der Informationsflut überwältigt zu werden - ots.at. Gerade Kinder unter ~10 Jahren sollten Nachrichten über Gewalt nicht unbeaufsichtigt ansehen - ots.at. Besprechen Sie mit den Eltern (z.B. in einem Elternbrief) diese Punkte: Faktentreue informieren, Sensationsmeldungen meiden und dosiert mit News umgehen. Schulen verfassen häufig einen Elternbrief mit sachlichen Infos zum Vorfall, geplanten pädagogischen Schritten und Hinweisen auf Unterstützungsangebote (z.B. Kontakt zur Schulpsychologie) - schulpsychologie.at. Eine transparente Kommunikation stärkt das Vertrauen und beugt weiterer Verunsicherung vor.

Entlastende Aktivitäten: Neben Gesprächen können gemeinschaftliche Aktivitäten helfen, Anspannung abzubauen. Je nach Altersstufe bieten sich kleine Bewegungspausen an (Spaziergang im Schulgarten, kurze Sportübung) oder ein kreatives Projekt (ein Plakat des Mitgefühls gestalten, Briefe oder Karten an die betroffene Schule schreiben, sofern angemessen). Solche Tätigkeiten geben den Schülerinnen das Gefühl, etwas Positives tun zu können – ein wichtiger Schritt vom Ohnmachtsgefühl hin zu aktiver Bewältigung. Eine weitere Möglichkeit ist, im Klassenverband Solidarität zu zeigen, z.B. durch eine Schweigeminute im Schulforum oder das gemeinsame Sammeln für eine Hilfsorganisation. Dies sollte einfühlsam moderiert und freiwillig sein. Die Klasse könnte auch überlegen, was ihnen geholfen hat, wieder Ruhe zu finden – z.B. Musik hören, mit Freunden reden, Ablenkung durch Hobbys – und diese Bewältigungsstrategien teilen - schulpsychologie.at. So lernen die Schülerinnen voneinander hilfreiche Methoden der Stressreduktion (Entspannungsübungen, Atemtechniken, etc. wurden vielleicht schon im Unterricht geübt und können nun angewandt werden). Am Ende des ersten Tages nach dem Ereignis sollte nochmals kurz reflektiert werden, was besprochen wurde, welche Gefühle Raum hatten, und welche Hilfeangebote es gibt - schulpsychologie.at. Vergewissern Sie sich, dass jede*r weiß: Es gibt Anlaufstellen, und niemand muss mit seinen Sorgen alleine bleiben.